NACH OBEN

Der zwanzigste Tag (27. 10. 2012)

Welche Vorschläge macht die Synode zur Neuevangelisierung?


Alle Synodenväter haben ein kleines graues Büchlein mit den „Vorschlägen“ in die Hand bekommen. Unter jedem Vorschlag stehen zwei Kästchen: Placet und Non Placet – „Gefällt mir“ oder „Gefällt mir nicht“. Schon auf dem Konzil war es so. Vielleicht hat sich Facebook (Daumen rauf – Daumen runter) von der katholischen Kirche etwas abgeschaut.
Worum geht es in der Sache?
Drei Aspekte scheinen mir wichtig.
1. Eine ehrliche Bestandsaufnahme. Es braucht nicht alles neu erfunden zu werden. Vieles läuft gut, anderes ist einfach vergessen oder für allzu selbstverständlich gehalten oder zwischendurch so massiv beworben worden, dass es außer Kurs gekommen ist. Die Beichte ist ein Beispiel.
2. Eine Konzentration auf die eigenen Stärken. Die Liturgie, die Bibel, die Katechese werden genannt. Bei der Liturgie mit einem großen Sinn für die Schönheit der Zeichen. Bei der Bibel mit noch sehr viel Luft nach oben. Bei der Katechese nicht ohne Selbstkritik, weil einfach der Erfolg zu selten eintritt, dass sich diejenigen, die getauft und gefirmt werden und zur Erstkommunion gehen, dauerhaft an die Kirche binden, weil sie vom Glauben überzeugt sind.
3. Eine Öffnung für neue Ideen. Dass man mit den neuen Medien paktiert, ist selbstverständlich; ebenso, dass man die neuen Kommunikationsformen des Glaubens, die in der Moderne entstehen, nutzt. Aber was ist mit den „heißen Eisen“? Die Synode lässt sich die Agenda nicht von der öffentlichen Debatte vorgeben, auch wenn einige der größten Probleme klar vor Augen stehen. Von den wiederverheirateten Geschiedenen ist die Rede, aber auch von den Kindern, die unter der Trennung ihrer Eltern leiden, und von den betrogenen Ehegatten, die zurückgelassen werden; eine Zulassung zu den Sakramenten wird nicht erörtert, aber eine einladende Sprache gesucht, dass es einen Weg in der Kirche und mit der Kirche auch für sie gibt. Ob das ausreicht? Es fehlt noch der Hinweis, was das Evangelium neu machen kann, so dass der Glaube nicht überschattet wird. Auch der Priestermangel, den es in vielen Teilen der Welt gibt, steht vor Augen. Aber die Lösung wird nicht in der Abschaffung des Zölibates gesehen, sondern in einer Stärkung der Kooperation zwischen Priestern und Laien.
Der entscheidende Beitrag der Synode zur Öffnung der Kirche ist ein anderer: Die gegenwärtige Kirchenkrise ist zutiefst eine Glaubenskrise: Gott scheint zu weit entfernt; Christsein wird auf eine Moral reduziert, die man nicht leben kann oder will; die Kirche erscheint eher als Institution, als eine Gemeinschaft des Geistes. Die Synode hat erkannt, dass die Kirchenkrise nicht durch Strukturreformen gelöst werden kann, sondern tiefer ansetzen muss: bei einer Erneuerung des Glaubens. Das ist äußerst anspruchsvoll – und allein aussichtsreich. Die offenen Strukturfragen – das Miteinander von Priestern und Laien; das Verhältnis der Pfarreien zu den kleinen Gemeinschaften und den geistlichen Bewegungen; die Stellung der Laien, die haupt- oder nebenamtlich mitarbeiten; der Umgang mit Menschen, die nicht im Einklang mit der katholischen Moral leben; das Zugehen auf diejenigen, die fragen, zweifeln, unsicher sind – können sich nur in einem Prozess lösen lassen, der von der gemeinsamen Entdeckung des Glaubens bestimmt ist. Hier hat die Synode eine Vorlage geliefert. Nun muss sie auch angenommen und verwandelt werden.

Morgen endet die Synode, wie sie begonnen hat: mit einer feierlichen Eucharistie, diesmal allerdings nicht auf dem Petersplatz, sondern in der Basilika.
Und mit dem heutigen Eintrag endet das Tagebuch.

Der neunzehnte Tag (26. 10. 2012)

Welche Botschaft geht von der Synode über die Neuevangelisierung aus?


Heute wurde die „Botschaft“ vorgestellt, mit der die Synode sich an die Öffentlichkeit die Welt und die Kirche wendet. Im Unterschied zu den „propositiones“, die morgen abgestimmt werden, hat sie einen stärker pastoralen und theologischen Zug.
Zwei Wesensmerkmale kennzeichnen die „Botschaft“.
Das eine Charakteristikum ist die Anerkennung der Realitäten. Die „Neuevangelisierung“ ist nicht von den Bischöfen, sondern von den geistlichen Bewegungen ausgegangen. Sie kommt jetzt erst in der Mitte der Kirche an. Deshalb wimmelt es in der „Botschaft“ nur so von „Danke“: an alle, die der Evangelisierung keine Steine in den Weg legen; mehr noch an alle, die bei ihr mitmachen. Das sind in erster Linie die Laien, die aber in der Weitergabe und neuen Erschließung des Glaubens meist alles andere als „Laien“ sind, sondern vielmehr Experten: für Kindererziehung und Medienarbeit und die Arbeitswelt und die Nachbarschaft. Die Bischöfe selbst klingen in der Botschaft nicht rechthaberisch, sondern demütig, zuweilen geradezu zerknirscht. Der Missbrauchsskandal ist nicht vergessen. Irgendwer muss ja die Verantwortung für den Rückgang der kirchlichen Bindung übernehmen. Wenn man die Schuld nicht anderen in die Schuhe schieben will, muss man wohl auch sagen: mea culpa. Die „Botschaft“ bleibt freilich allgemein. Die Konkretionen muss man sich denken – und irgendwann doch einmal klar benennen, vielleicht im „nachapostolischen Schreiben“, das in ein paar Monaten herauskommen soll.
Das andere Charakteristikum ist eine Einladung, nicht depressiv zu werden, sondern sich auf den eigenen Glauben zu besinnen. Was genau das Evangelium ist, das es zu verbreiten gilt, wird zwar nur angedeutet. Aber der Leittext ist das Gespräch Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen (Joh 4). Es beginnt mit der Wanderung und dem Durst Jesu; es holt die Samariterin ab, wo sie steht: mit ihrem leeren Gefäß am Brunnen, den Jakob, der Stammvater auch der Israeliten, gegraben hat; es führt sie zur Anerkennung der nicht unbedingt schmeichelhaften Wahrheit ihres Lebens; es führt sie zu einer neuen Form der Gottesverehrung „im Geist und in der Wahrheit“, in der sie nichts von dem zu verraten braucht, was ihre samaritanische Religion ausmacht, aber alles in einer unendlichen Weite geschenkt bekommt.
Was die Synode unbedingt braucht, sind solche Geschichten des Glaubens, heute erzählt, von der Bibel inspiriert und mit ihrer großen Geschichte vom Weg Gottes mit den Menschen verbunden.

Der achtzehnte Tag (25. 10. 2012)

Wie ökumenisch ist die Neuevangelisierung?


Heute werden Veränderungswünsche zu den Vorschlägen bearbeitet. Morgen sollen sie vorgestellt und dann am Samstag abgestimmt werden.
Die Ökumene ist eines der vielen Themen, die auf der Tagesordnung stehen. Reicht das? Die Situation in vielen Ländern ist durch konfessionelle Unterschiede geprägt. Die fehlende Einheit der Kirche, der traditionelle Streit der Konfessionen, die wechselseitige Profilierung tragen erheblich zum Glaubwürdigkeitsverlust des Evangeliums bei. Sicher: Die Kirche kann nie nur im Gleichschritt marschieren. Im Haus des Glaubens gibt es viele Wohnungen. Aber den Krach wenn die Türen zugeschlagen werden, will niemand hören.
Werden die Türen geöffnet? Das darf man fragen. Auf der Synode haben alle „Brüder und Schwestern“ Delegierte geschickt, die ein Grußwort gesprochen. Michael Weinrich von der Evangelischen Fakultät Bochum hat es für den Reformierten Weltbund getan und die Linie vom „Wort Gottes“ zur „neuen Verkündigung des Evangeliums“ nachgezeichnet, die auch für die evangelische Theologie wichtig ist.
Aber die Synode muss sich fragen, was sie aus der ökumenischen Nachbarschaft und Freundschaft macht. In der Problemanalyse gibt es ähnliche Phänomene. Wie sieht die Therapie aus?
Wenn die Neuevangelisierung eines nicht sein darf, dann ein katholisches Nostalgieprogramm. Die Alternative ist eine Runderneuerung des Glaubens. Die müsste dann so aussehen, dass die alten Gräben überwunden und neue Brücken gebaut werden. Eine Ökumene der Stärken – das wäre eine Option, und eine Ökumene der Stärkung, das wäre der Weg.

Der siebzehnte Tag (24. 10. 2012)

Wie politisch ist die Neuevangelisierung?


Die Synode beschäftigt sich in den Sprachzirkeln mit Veränderungsvorschlägen zur ersten Lesung der Vorschläge. Hinter den Kulissen wird an den Strippen der Politik gezogen. Eine Solidaritätsaktion für Syrien ist gestartet worden: Geld ist gesammelt worden; aber eine Delegation nach Syrien musste verschoben werden.
Syrien ist jedoch nur das Zentrum einer unruhigen Welt, in der das Evangelium Fuß fassen soll. Die Religionsfreiheit steht vielerorts allenfalls auf dem Papier. Früher waren es die kommunistischen Länder, heute sind es vor allem die islamischen Staaten, in denen die Christen in ihrem Glaubensleben beeinträchtigt werden. Die Synode fordert Religionsfreiheit ein. Bibeln zu besitzen und zu verbreiten, ist ein Politikum. „Wir brauchen keine Märtyrer“, sagt einer der Bischöfe im Gespräch. Aber Freiräume des Denkens und Betens schon.
Allerdings hat die Religionsfreiheit eine Kehrseite: Die Kirche muss auch freiheitsfähig sein. Sie muss in den pluralistischen Demokratien ihren Platz finden, ohne Privilegien; sie muss auch intern auf die Karte der Freiheit setzen. Religiöse Bildung nicht nur als kirchliche Bindung, sondern als Befreiung zu sehen, die den Glauben so vorlegt, dass er aus freien Stücken gewählt werden kann – das ist noch ein langer Weg. Aber er ist der einzige, der in die Zukunft führt.


Der sechzehnte Tag (23. 10. 2012)

Wie biblisch ist die Neuevangelisierung?


Heute wurden in erster Lesung die Propositiones vorgestellt, die aus den verschiedenen Sprachgruppen ausgewählt und vorgestellt worden sind. Nachmittags und morgen werden sie in den Zirkeln beraten, damit noch letzte Änderungen vorgenommen werden können. Langsam neigt sich die Synode dem Ende zu. Jetzt muss sich zeigen, was sie gebracht hat, also anstoßen will.
Die Neuevangelisierung braucht neue Medien. Das neueste Medium ist das älteste: die Bibel. In der ersten Phase der Neuevangelisierung wurde sehr stark der Katechismus gefördert. Er ist wichtig, weil der Glaube einen Inhalt hat, der neu propagiert werden muss.
Aber der Katechismus mit seinem Frage-Antwort-Schema reicht nicht aus. Die Basiserzählung des Glaubens ist die Bibel. Die Neuevangelisierung auf die Bibel zu stützen, ist eine Stilfrage: Kompetentes Lesen ist dann gefragt, allein und mit anderen. Es schadet auch nichts, einiges über die Entstehungsgeschichte der Bibel zu wissen, über die Zeiten und Räume, in denen sie geschrieben worden ist, auch über die Menschen, denen sie verdankt wird. Wer diese Hintergründe kennt, sieht die Bibel nicht mehr als ein Stück Papier, sondern als ein Buch des Lebens, in dem der Glaube des Anfangs kondensiert ist, damit der Glaube der Gegenwart inspiriert wird.

Der fünfzehnte Tag (22. 10. 2012)

Um welches Evangelium geht es bei der Neuevangelisierung?


Der Montag der letzten Woche ist für die Synode ein „freier“ Tag. Allerdings nicht für alle: Die über 200 „Propositionen“ aus allen Sprachzirkeln sind geordnet und zusammengefasst. Nun werden sie ins Lateinische übersetzt und gedruckt, damit sie morgen auf Latein vorgelesen werden können. Die meisten Bischöfe spicken mit dem englischen Text, der angefügt wird; er ist das Original.
Bevor es richtig ernst wird mit der Beschlussfassung, muss eine wichtige Frage geklärt sein: Um welches Evangelium geht es eigentlich bei der Neuevangelisierung?
Der Papst ist bei seiner Meditation am ersten Tag sehr grundsätzlich und sehr offen gewesen. Das Evangelium ist die Gute Nachricht, dass Gott von sich aus alles gut macht, was in der Welt schlecht ist: durch Jesus und durch die Menschen in seiner Nachfolge, durch die Befreiung vom Bösen, um die alle bitten, die das Vaterunser sprechen, und durch die Freiheit, das Gute zu tun, von der Paulus spricht (Gal 5,13f.). Um dieser Freiheit willen musste Jesus Klartext sprechen. Zwischendurch konnte man immer wieder einmal den Eindruck gewinnen, Glaube werde in erster Linie als System von geoffenbarten Wahrheiten verstanden, die man gehorsam zu akzeptieren hätte. Wenn sich die „Propositionen“ darauf versteifen sollten, wäre die Synode ein Schlag ins Wasser.
Es ist richtig: Glaube ist nicht nur ein Gefühl, nicht nur eine Ahnung, auch nicht nur eine Praxis, sondern eine Erkenntnis, die zum Bekenntnis wird und das ganze Leben im Vertrauen auf Gott verwurzelt. Aber genau dieser Zusammenhang muss im „Jahr des Glaubens“ auf der Synode auch deutlich werden – und zwar in einer Sprache, die man heute verstehen kann.
Hoffen wir das Beste.

Der vierzehnte Tag (21. 10. 2012)

Welche Vorbilder hat die Neuevangelisierung?


Heute, am Sonntag, werden sieben Menschen heiliggesprochen. Der Petersplatz quillt über. Zigtausende haben den Weg nach Rom gefunden. Die Begeisterung ist schier grenzenlos. An der Fassade des Petersdomes hängen idealisierte Portraits. Auf den ersten Blick scheint es, als seien alle Priester und Ordensleute gewesen.
Aber man muss genauer hinschauen. Ganz rechts außen hängt das Bild der neuen Heiligen aus Deutschland: Anna Schäfer (1882-1925). Sie war eine kranke Dienstmagd, zu der die Menschen gekommen sind, um nach Rat zu fragen. Kranke nicht nur als Menschen zu sehen, die der Fürsorge bedürfen, sondern als Menschen, die ihrerseits den Glauben ausstrahlen, weil sie dem leidenden Jesus nahe sind – das ist eine der Antworten auf die Frage nach Vorbildern, auf die man nicht sofort kommt. Bei der Synode war es ein Thema.
Aber es bedarf weiterer neuer Antworten. Papst, Bischof, Pfarrer, das reicht nicht. Ordensleute, Hauptamtliche, Lehrerinnen und Lehrer – alle sind an ihrem Platz gefragt. Aber irgendwie kann man erwarten, dass sie sich für das Evangelium einsetzen.
Nicht erwarten darf man das, was all die Freiwilligen in den Gemeinden und was die Eltern für ihre Kinder und mit ihnen machen. Aber von denen hängt am Ende alles ab. Hoffentlich hängen einmal auch ihre Bilder an der Fassade des Petersdomes.

Der dreizehnte Tag (20. 10. 2012)

Wie funktioniert die Synode über die Neuevangelisierung?


Alle „Vorschläge“ aller Sprachgruppen sind abgegeben. Es sind weit über 100. In der Aula wird über den „Nuntius“ beraten, eine „kurze“, also nach den Maßstäben der katholischen Kirche etwa 10-15seitige Botschaft an die Kirche und die Welt mit den wichtigsten Anliegen und Aussagen. Hinter den Kulissen nehmen sich die Experten der Vorschläge an: Sichten, Zusammenstellen, Bewerten, Auswählen. Alle wichtigen Themen müssen vorkommen; aber Doppelungen müssen vermieden werden. Es gilt, die besten Formulierungen zu finden. Die Arbeit wird heute und morgen in Anspruch nehmen: Samstag und Sonntag. Montag ist dann „frei“ (weil eine Übersetzung ins Lateinische erfolgen muss)– und Dienstag werden die „Propositiones“ in erster Lesung vorgestellt.
Die Synode braucht diese Zuarbeiten. Ziemlich jedes Jahr findet in Rom eine große Bischofssynode statt, nicht immer auf Weltebene, sondern zwischendurch auch auf der Ebene von Kontinenten oder Krisenregionen, wie jüngst dem Nahen Osten. Das Verfahren ist mühsam, hat sich aber eingespielt.
Wie funktioniert es? Es ist ja nicht nur so, dass viele Bischöfe aus aller Welt zusammenkommen, um über dies und das zu sprechen. Es wird ja auch eine gemeinsame Linien gefunden; es werden auch Entscheidungen gefällt: nicht über Beschlüsse, aber über Vorschläge.
Wenn man tiefer bohrt, kommt man nicht nur zur geschmeidigen Professionalität der vatikanischen Mitarbeiter, sondern zu theologischen und kirchenpolitischen Faktoren. Es sind vor allem drei:
1. Ohne Rom und den Papst gäbe es keine Synode; jenseits der Klagen über den Zentralismus ist Rom ein Zentrum, das anzieht und verbindet, ein Forum und Schmelztiegel. Der Papst, der oft persönlich anwesend ist, personifiziert diese römische Form der Einheit und Katholizität.
2. Alle „Väter“ der Synode sind Bischöfe oder Ordensobere. Sie alle eint nicht nur ihr persönlicher Glaube. Die Bischofsweihe stiftet eine enge Verbindung: mit dem Papst und untereinander. Es gibt einen Teamspirit. Kritiker mögen einen Corpsgeist vermuten; wer vor Ort ist, spürt, dass mehr da ist.
3. Das Zweite Vatikanische Konzil ist die Basis und der dauernde Bezugspunkt der Synode. Es gibt konservative und progressive Lesarten der Konzilstexte. Aber vom Geist der Piusbrüder ist anscheinend niemand verseucht. Theologischer Revanchismus ist out. Das Nachdenken des Konzils über das Wort Gottes, die Kirche, die Ökumene, den interreligiösen Dialog, den Dialog mit der Welt – all das hat tiefe Spuren hinterlassen. Die Neuevangelisierung ist eine dieser Spuren.
Ob die drei Eckpunkte ausreichen? Wesentlich ist, dass die Bischöfe sich tatsächlich als Sprecher ihrer Gemeinden, der Christinnen und Christen ihrer Diözesen verstehen. Die Verbindung der Bischöfe untereinander hängt in der Luft, wenn der Kontakt zur Basis abhanden gekommen ist.

Der zwölfte Tag (19. 10. 2012)

Was ist neu an der Neuevangelisierung?


Der heutige Vormittag ist den Berichten aus den Sprachgruppen gewidmet: Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Deutsch. An einem Vormittag entsteht ein kleines Mosaik der Weltkirche: Stile, Themen, Temperament – alles unterschiedlich. Wenn es verbunden wird, wird es katholisch.
Die Berichte werfen die Frage auf, was eigentlich das Neue an der Neuevangelisierung sein soll. War vorher alles falsch? Muss die Kirche neu erfunden werden? Müssen wir die Bibel umschreiben?
Die theologische Antwort ist klar: Neu ist Jesus Christus, neu ist das Wort Gottes, neu ist das Evangelium selbst. Es wird einfach nicht alt. Warum? Weil Jesus von den Toten auferstanden ist und lebt. Weil Gott sein Wort immer heute sagt, um die Vergangenheit zu erschließen und die Zukunft zu eröffnen. Weil das Evangelium so gut ist, dass es nicht verblasst.
Die theologische Antwort ist aber auch schwer. Denn auch wenn der Text der Bibel bleibt und der Kern des Evangeliums auch: Die Zeiten ändern sich und die Menschen mit ihnen. Sie lesen mit neuen Augen von neuen Standpunkten aus und mit neuen Interessen die Bibel und hören das Wort und feiern die Sakramente – oder eben nicht. Deshalb ist die Neuevangelisierung eine Anfrage an die Kirche, ob sie in der Neuzeit wirklich angekommen ist und ob sie das, was die Menschen heute denken und fühlen und glauben, wirklich hören und verstehen will und kann. Wenn das nicht gelingt, ist sie schnell von gestern.
Ein Schlüsselbegriff der Neuzeit ist die Freiheit. Wie sie mit der Bindung des Glaubens an Gott und den Nächsten, an das Wort und die Kirche Gottes vermittelt werden kann, ist die Schlüsselfrage der Neuevangelisierung.

Der elfte Tag (18. 10. 2012)

Weshalb braucht es überhaupt eine Neuevangelisierung?


Heute wird von morgens bis abends in den Sprachgruppen gearbeitet. Es geht darum, Themen und konkrete Formulierungen für „Vorschläge“ (propositiones) zu finden, die in die allgemeine Diskussion eingebracht und, wenn sie die Zustimmung einer großen Mehrheit finden, dem Heiligen Vater vorgelegt werden sollen.
Im Mittelpunkt müssen deshalb wieder die ganz einfachen Fragen stehen, die es aber in sich haben. Weshalb braucht es überhaupt eine Neuevangelisierung? Die Antwort ist nicht in erster Linie aus der Analyse vermuteter oder tatsächlicher Defizite zu erschließen. Sie ergibt sich vielmehr aus dem Evangelium selbst. „Glaubt an das Evangelium!“, hat Jesus gerufen (Mk 1,15). Wer diesen Glauben hat, will ihn weitergeben. Glaube steckt an – wenn er von der Freude über Gott geprägt ist.
Aber warum soll man dem Evangelium Glauben schenken? Die Antwort ist grundlegend in der Bibel gegeben: weil im Evangelium die Menschen so vorkommen, wie sie wirklich sind; weil im Evangelium Gott zur Sprache kommt, wie er wirklich ist; weil durch das Evangelium das Leben der Menschen in all ihrer Not, aller ihrer Angst, aller ihrer Freude und Liebe unendlich bereichert wird; weil die Menschen durch die Begegnung mit Gott, in der Freundschaft mit Jesus gesund werden an Leib und Seele. Das kann man nicht beweisen, aber erfahren und bezeugen. Wem es zu Herzen geht, nimmt es an. Wer nichts mit dem Zeugnis oder den Zeuginnen und Zeugen des Glaubens anfangen kann, wird dennoch nicht von Gott verachtet. Aber wer glaubt, hat das Privileg, jetzt schon zu wissen, wie gut die Liebe Gottes tut.

Der zehnte Tag (17. 10. 2012)

Wer redet mit bei der Synode über die Neuevangelisierung?


Gestern war, nach über einer Woche, die erste Stimme einer Frau auf der Synode zu hören: Sarah Frances Davis, die Vizepräsidentin des Weltrates Methodistischer Kirchen, eine afrikanische Bischöfin, hielt in ihrer Grußadresse ein couragiertes Plädoyer für eine gemeinsame Initiative in der Verbreitung des Glaubens. Unter den vierzig „Experten“ sind zehn Frauen, immerhin; aber die Experten bleiben im Hintergrund. Auch die religiösen Organisationen sind mit einigen Frauen vertreten; heute kommen sie zu Wort. Sonst reden Männer.
Das ist nicht überraschend: In Rom findet ja eine katholische Bischofssynode statt. Desto wichtiger ist dann, wie die Bischöfe ihre Sprecherrolle wahrnehmen. Beeindruckend sind immer die Erfahrungsberichte aus den kleinen, den verfolgten, den weithin vergessenen Kirchen. Sie haben ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Erfahrungen, ihre eigenen Begabungen. Syrien und der Irak sind vertreten, Laos und Haiti. Es ist klar, dass ihre Bischöfe nicht über Strukturreformen reden. In Russland wird jetzt erst das Zweite Vatikanische Konzil entdeckt, weil erst jetzt die Texte zur Verfügung stehen und die Möglichkeiten gegeben sind, sie in breiteren Kreisen zu lesen. Allein dafür ist die Synode gut: dass diese Stimmen sichtbar und hörbar werden.
Und die vielen anderen? Die Bischöfe sind als Theologen und Manager gefordert, als Katecheten und Motivatoren. Es ist im Grunde allen klar, dass sie auf alle anderen angewiesen sind, auf die Mütter und Väter, die Kinder und Jugendlichen, die Älteren. Es wird auch oft ausgesprochen. Aber stehen die Bischöfe wirklich im Dialog mit denen, die den Glauben im Alltag leben und ihn nicht immer so präsent haben können wie die Profis? Und sich auf den Sonntag freuen, aber nicht immer die Kraft aufbringen, zur Kirche zu gehen? Prägen ihre Lebenserfahrungen das Glaubenswissen der Kirche? Dass die Bischöfe als Verkünder und Lehrer gefragt sind, ist nicht nur Theorie, sondern Praxis. Aber sie müssen sich auch davon Rechenschaft ablegen, ob sie hinhören, verstehen und lernen – und dann so sprechen können, dass nicht die Interessen der Institution, sondern die Hoffnungen der Menschen im Mittelpunkt stehen, der gläubigen und der nicht (so) gläubigen.

Der neunte Tag (16. 10. 2012)

Welches Kirchenbild hat die Neuevangelisierung vor Augen?


Alle Bischöfe, die es wollten, haben jetzt gesprochen. Es beginnt die Stunde der Laien. Repräsentanten religiöser Bewegungen, caritativer Einrichtungen politischer Initiativen aus aller Welt kommen zu Wort und berichten von ihrem Anteil an der Verlebendigung und Weitergabe des Glaubens. Alle sind zu 100% katholisch, alle äußerst engagiert – auf ihrem Gebiet.
Welches Bild der Kirche entsteht? Welches Kirchenbild gibt die Kirche in der Synode ab?
Es ist auf jeden Fall das Bild von sehr überzeugten Menschen. An der Wahrheit des Evangeliums, an der hierarchischen Struktur der katholischen Kirche, an der Richtigkeit der pastoralen Praxis nach dem Konzil gibt es keinen prinzipiellen Zweifel. Probleme werden eingeräumt. Aber sie werden in moralischen Schwächen, in mangelndem Eifer, in Ablenkungen durch äußere Einflüsse gesehen. Reicht das aus?
Das Evangelium überzeugt; die Kirche ist apostolisch; es war nicht alles falsch, was man pastoral angestellt hat.
Aber: Was ist das Evangelium, und was ist das Beiwerk, das sich in den Vordergrund drängt? Wie engagieren sich die Bischöfe und Priester, um die Laien zu motivieren, an denen am Ende die Evangelisierung doch hängt? Was ist gut und was nur gut gemeint in der pastoralen Praxis der Gegenwart?
Die Spannungen sind zu spüren. Aber sie müssen erst noch in Energie umgesetzt werden. Dass die Kirche kein erratischer Block ist, sondern ein lebendiger Organismus, keine Festung, sondern ein Gasthaus, kein Wellenbrecher, sondern ein Schiff auf hoher See – das muss noch entdeckt werden, und es muss glaubwürdig sein.

Der achte Tag (15. 10. 2012)

Welches Menschenbild liegt der Neuevangelisierung zugrunde?


Die zweite Arbeitswoche beginnt. Der ganze Tag ist wieder den bischöflichen Voten in der Aula gewidmet. Langsam kommen alle zu Wort. Hinter den Kulissen wird bereits an der Zusammenfassung und Bündelung der Stellungnahmen gearbeitet, damit der nächste Schritt getan werden kann: die Formulierung konkreter Vorschläge.
Ein Bischof zitiert frei den hl. Franziskus: „Einen Menschen zu evangelisieren, heißt, ihm zu zeigen, dass er von Gott geliebt ist.“ Und zwar nicht erst, wenn er zum Glauben gekommen ist oder ihn wieder entdeckt hat sondern unbedingt: weil er ein Mensch ist.
Wer die Menschen so sieht, betrachtet sie nicht als Objekte der Glaubensvermittlung, sondern als Partner in der Entdeckung des Glaubens. Davon sind allerdings viele Materialien und Vorstellungen zur Katechese und Neuevangelisierung weit entfernt. Ob die Synode insgesamt diesen Blick schärft? Es wäre eine Konsequenz der biblischen Anthropologie Jesu. Sie relativiert nicht die Bedeutung des eigenen Glaubens. Aber sie öffnet zwei Perspektiven: dass diejenigen, die eingeladen werden, in der Kirche heimisch zu werden, zwar, wie alle, umkehren müssen, aber wertvolle Gaben mitbringen, wie die „Heiligen drei Könige; und dass diejenigen, die einladen, sich selbst fragen müssen, ob sie die Kirche öffnen oder verschließen, wie Petrus, der einige Zeit brauchte, bis er es verstanden hat, dass der Heilige Geist dort schon war, wo er, der Apostel, erst hinkommen sollte.

Der siebte Tag (14. 10. 2012)

Wo findet die Neuevangelisierung statt?


Es ist Sonntag. Vacat Congregatio, steht im Programm. Die Stadt aber ist in vollem Betrieb. Die Glocken läuten; die Kirchen stehen offen, nicht wenige sind voll. Noch voller sind aber die Straßen, die Plätze, die Cafès. Die Sonne scheint; die Menschen gehen raus. Römischer Herbst ist wie deutscher Sommer. Wer von all diesen Flaneuren weiß, dass über ihn, über sie eine weltweite Konferenz im Vatikan stattfindet, weil sie erreicht, angesprochen, überzeugt werden sollen?
Rom selbst ist ein Hauptfeld der Neuevangelisierung. Die Zahl der Kirchgänger war nie besonders hoch. Es gibt viele Arme und ein paar ganz Reiche, die der Evangelisierung besonders bedürfen, wie das heutige Evangelium vom Kamel und Nadelöhr deutlich macht.
Wenn Rom ein Paradebeispiel ist für Orte der Neuevangelisierung, dann ist es unangemessen, von einer Wüste zu reden, die dringend des Wassers bedürfte. Im Gegenteil: Das Leben pulsiert. Es ist attraktiv. Neuevangelisierung als Spielverderber? Das kann nicht gut gehen. Eher kommt es darauf an, dass das Evangelium ankommt: bei denen, die im Großen und Ganzen mit ihrem Leben zurechtkommen, auch wenn sie sich nicht permanent mit ihrem Glauben beschäftigen. Das Evangelium als Notfallapotheke? Das ist zu wenig. Das Evangelium als Horizont, der das Leben weitet? Dann hätte man Grund, sich nicht nur über die Sonne am Himmel zu freuen.

Der sechste Tag (13. 10. 2012)

Wer sind die Adressaten der Neuevangelisierung?


Es ist Samstag – aber es wird voll gearbeitet. Wie jeden Werktag: vormittags von 9 - 12.30 Uhr, nachmittags von 16.30 – 19 Uhr. Die Experten bekommen alle Statements der Bischöfe, die für den Tag angemeldet sind. Heute sind es 40. Sprachen sind Italienisch, Spanisch, Englisch, Französisch und Deutsch. In der wird simultan übersetzt.
Die Themenfelder beginnen sich abzurunden. Wesentlich ist die Frage, an wen sich die Neuevangelisierung richtet. Theoretisch ist es klar: an alle Getauften, besonders diejenigen, die den Kontakt zum kirchlichen Leben verloren haben. Sich einzugestehen, dass dies ein weltweit verbreitetes Phänomen ist, fällt nicht ganz leicht. Anzuerkennen, dass die Probleme nicht nur von außen an die Kirche herangetragen werden, sondern zu einem guten Teil hausgemacht sind, ist nicht leichter. Im Prinzipiellen zu bleiben, ist einfacher, als konkrete Beispiele zu nennen.
Wesentlich scheint, nicht auf die religiösen Defizite, auf Lücken im Glaubenswissen, auf moralische Schwächen fixiert zu sein, sondern eine Ekklesiologie zu entwickeln, in der diese Menschen vorkommen: als Mitglieder der Kirche, die das Beste noch vor sich haben, die Entdeckung des Glaubens im eigenen Leben. Wiederum: Leicht gesagt – aber es kommt auf die Praxis an.

Der fünfte Tag (12. 10. 2012)

Wer ist das Subjekt der Neuevangelisierung?


Inzwischen haben an die 100 Bischöfe geredet. Ein weites Feld an Erfahrungen tut sich auf. Viele Fragen werden gestellt. Eine der wichtigsten lautet: Wer soll eigentlich die Neuevangelisierung in die Hand nehmen? Dass die Bischöfe das allein nicht können, ist den meisten klar. Ebenso kann es nicht nur die Sache der Kleriker sein. Wer dann?
Drei Antworten kehren immer wieder: die Pfarrei, die Familie, die Katechetinnen und Katecheten. Das sind durchaus traditionelle Antworten, aber sie haben es in sich.
1. Die Pfarrei ist nicht tot. Kleine Gemeinschaften sind wichtig; aber sie dürfen nicht zu klein sein. Die Pfarreien sind vielerorts im Umbruch. Aber sie bleiben wichtig. In den Pfarreien sind in erster Linie die Laien gefragt. Wie genau? Das bleibt meist offen.
2. Die Familie ist nicht tot. Dass sie vielerorts in der Krise ist – wer wollte das bezweifeln? Aber wo sie funktioniert, ist für die Weitergabe des Glaubens die beste Voraussetzung gegeben. Eltern sind „Experten für Menschlichkeit“, pointierte ein Bischof. Wo wird ihre Expertise gefragt? Und wie können sie, wenn sie nicht so sicher sind, trainiert werden? Darüber muss weiter nachgedacht werden.
3. Die Katechese ist nicht tot. Es gibt Probleme, diejenigen, die einen katechetischen Prozess durchlaufen haben, auch zu einer nachhaltigen kirchlichen Praxis zu motivieren. Aber deshalb ist sie nicht nutzlos. Im Gegenteil: Wenn sie nicht nur instruiert, sondern den Glauben zur Sprache bringt, verbindet sie Wissen und Erfahrung. Beides ist wichtig; beides zählt.
Dann stellen sich aber weitere Fragen:
Erstens: Welchen genauen Auftrag, welche Pflichten und welche Rechte, welchen Status und welche Verantwortung haben die Laien, die in der Katechese, in den Familien, für die Gemeinden kirchliche Aufbauarbeit leisten? Hier ist vieles neu zu diskutieren.
Zweitens: Wie können diejenigen, die das Evangelium verbreiten, selbst mit dem Evangelium in Kontakt kommen? Selbstevangelisierung muss an der Basis Wurzeln schlagen. Hier sind Ideen, Initiativen, Vorschläge gefragt.

Der vierte Tag (11. 10. 2012)

Was hat die Neuevangelisierung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu tun?


Heute vor genau 50 Jahren trat erstmals das Zweite Vatikanische Konzil zusammen. Deshalb fand heute auf dem Petersplatz eine große Papstmesse mit vielen Kardinälen und Bischöfen und Zehntausenden von Gläubigen statt.
In seiner Predigt über Lk 4,14-22, die Antrittspredigt Jesu in Nazareth, stellte der Papst eine Verbindung zur Neuevangelisierung her. Die Brücke bildet der Glaube. Deshalb hat Benedikt XVI. ein „Jahr des Glaubens“ ausgerufen, das heute beginnt.
Für die Rezeption des Konzils ist die Perspektive des Glaubens entscheidend. Es gibt den Streit, ob eine Hermeneutik des Bruchs oder der Kontinuität leitend sein müsse. Früher hatte Benedikt für eine Hermeneutik der Reform plädiert. Heute verband er Kontinuität mit Erneuerung. Die Tradition ist nicht starr, sondern, weil sie eine Tradition des Glaubens ist, für den Jesus Christus lebendig ist, Gottes Wort, und der durch Gottes Geist verlebendigt wird. Das heißt konkret, das Zweite Vatikanische Konzil von der Frage nach Gott, von der Erfahrung Gottes, vom Bekenntnis Gottes her zu verstehen. Ist das zu fromm? Oder gerade die Voraussetzung dafür, dass nicht allmählich die Zeit über das Konzil hingeht, sondern von seiner Botschaft geprägt wird?
Für die Neuevangelisierung heißt das: kein Rückfall hinter das Konzil, kein theologischer Revanchismus, aber ein Weitergehen mit dem, was vor 50 Jahren in Rom ganz überraschender Weise begonnen hat: ein geistlicher Aufbruch, der Fakten geschaffen hat.

Der dritte Tag (10. 10. 2012)

Wer macht bei der Neuevangelisierung mit?


Zum Abschluss des Tages gab es Ökumene live. Der Erzbischof von Canterbury, Rowen Williams, erhielt das Wort für eine Ansprache in Gegenwart des Papstes. Er nutzte die Chance. Seine Worte waren höflich, aber alles andere als unverbindlich. Sein großes Thema: die Kontemplation, die innere Sammlung, die Ruhe vor Gott, die Konzentration im Gebet. Das scheint das Gegenteil von Evangelisierung zu sein, ist aber die Quelle. Der Primas der anglikanischen Kirche ist als ein spiritueller Mensch bekannt. Es ist glaubwürdig, dass er sich nicht vor den Problemen der Welt und der Kirche zurückziehen, sondern Kraft sammeln will, um aufzutreten und Zeugnis abzulegen.
Die Überlegungen gehen aber weiter. Ist die Neuevangelisierung nur ein Projekt der katholischen Kirche? Dient sie nur der Rekrutierung neuer Mitglieder? Muss sie nicht vom Ansatz her ökumenisch sein? Wie kann das gelingen? Welche Verbündete gibt es überhaupt? Wie kann die Neuevangelisierung aussehen, dass sie nicht Gräben vertieft, sondern Brücken baut?
Im Moment gibt es noch mehr Fragen als Antworten.

Der zweite Tag (09. 10. 2012)

Wo braucht es eine Neuevangelisierung?


Der Alltag der Synode beginnt. Die Bischöfe aus aller Welt reden. Jeder hat einmal das Recht auf 5 Minuten. Die Uhr tickt herunter. Falls nötig, wird das Mikrophon abgeschaltet.
Worüber wird geredet? Viel über die Situationen, in denen eine neue Verkündigung des Evangeliums notwendig ist. Wo? Die Situationen sind ganz unterschiedlich: die Säkularisierung im Westen, die Migration in allen Erdteilen, der Rückgang der Priesterberufungen in vielen Ländern, die Armut, die Verfolgung von Christen, die Beschneidung der Menschenrechte.
Das wichtigste wird mal laut, mal leise gesagt: Wir müssen bei uns selbst anfangen. Die großen Probleme liegen nicht bei anderen, sondern bei uns selbst. Aber woher rühren sie? „Haben wir die Kirche oder hat die Kirche uns verloren?“, zitiert ein Bischof ein junges Mädchen von den Philippinen. Vielleicht kann das die Leitfrage der Synode werden..

Der erste Tag (8. 10. 2012)

Was ist Neuevangelisierung?


Jeder Tag der Synode beginnt in der Aula mit einem Gebet. Um 9 Uhr wird die Terz gebetet. Die heutige Schriftlesung ist wie dafür gemacht. Von Paulus wird gelesen; „Freut euch, kehrt zur Ordnung zurück, lasst euch ermahnen, seid eines Sinnes, und lebt in Frieden! Dann wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein“ (2Kor 1,311).
Wie immer, wird der Schriftvers kurz ausgelegt. Die erste Predigt übernimmt der Papst selbst. Sie ist programmatisch. Das Evangelium bringt Frieden. Deshalb muss es verkündet werden, immer wieder neu. Benedikt stellt zwei Bezüge her.
Der erste Bezug geht ins Lukasevangelium. Dort beginnt Jesus seine Verkündigung mit Worten des Propheten Jesaja: Er will die Gute Nachricht den Armen bringen, den Kranken, den Gefangenen (Lk 4,18f. – Jes 61,1f.).
Der zweite Bezug geht ins Gebet „Komm, heiliger Geist …“. Gerade haben es alle in der Aula gebetet. Der Papst beleuchtet zwei Aussagen: Das Bekenntnis soll ertönen, und die Liebe soll sich entzünden. Beides gehört zusammen. Der Glaube will und muss mitgeteilt werden. Die Liebe, die Caritas, ist der wichtigste Weg.
Ob das ein erster Hinweis auf die Antwort ist? Die Schrift lesen, die Gebete beim Wort nehmen, daraus die Liebe zu Gott und den Menschen entzünden … Die Konkretionen müssen noch kommen. Dafür ist drei Wochen Zeit. Ein Anfang ist gemacht.