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Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde – Ehrendoktor der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bochum verstorben

28.02.2019

Ernst-Wolfgang Böckenförde, Professor für Öffentliches Recht und langjähriger Verfassungsrichter, verstarb am 24. Februar 2019 im 89. Lebensjahr. Eine wesentliche Dimension seiner wissenschaftlichen Tätigkeit betrifft das Verhältnis von Kirche und Staat, nicht zuletzt die Rolle und Funktion der Kirchen in einem pluralistisch-demokratischen Gemeinwesen. Für diese Analysen wurde Böckenförde 1999 die Ehrendoktorwürde der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität verliehen.

KNA Böckenförde
© KNA (Archivbild)
Der kritische Katholik und Sozialdemokrat brachte sich bereits als junger Wissenschaftler in kontroverse innerkirchliche und gesellschaftliche Diskussionen ein, als er sich Ende der 1950er Jahre gemeinsam mit Robert Spaemann gegen den Sozialethiker Gustav Gundlach wandte, einen wichtigen Berater Pius XII. Gundlach sprach sich für eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr aus und schloss einen militärischen Einsatz von Atomwaffen auch jenseits der Abschreckungsfunktion nicht aus. Dies lehnten Böckenförde und Spaemann entschieden ab. Eine weitere Auseinandersetzung initiierte Böckenförde, indem er die Rolle der katholischen Kirche im Jahr 1933 kritisch in den Blick nahm. Die Zustimmung der katholischen Zentrumsfraktion zum Ermächtigungsgesetz sah er als Schlüssel, der Hitler die notwendige Mehrheit zur Änderung der Weimarer Reichsverfassung ermöglichte und so die junge Demokratie untergrub. Böckenförde führte diese Entscheidung katholischer Politiker auf die kirchliche Naturrechtslehre sowie einen traditionellen Antiliberalismus zurück, der ein kirchliches Eintreten für Demokratie und Freiheitsrechte verhinderte. Nachdrücklich unterstützte Böckenförde die Anerkennung der Religionsfreiheit durch das Zweite Vatikanische Konzil. Er trat für einen legitimen Pluralismus des Engagements von Katholikinnen und Katholiken in der Politik ein. Als Verfassungsrechtler wirkte er 1993 am Urteil zur Abtreibungsgesetzgebung mit. Er kritisierte den Austritt der katholischen Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung und gehörte zu den Gründungsmitgliedern von „Donum vitae“. Als Rechtsphilosoph war er an interdisziplinären Themen im Schnittmengenfeld von Geschichtswissenschaft, Philosophie, Soziologie und Theologie interessiert. Als gläubiger Christ war es ihm ein Anliegen, das Durchdachte praktisch werden zu lassen. Viele Themen, die sowohl ihn wie auch seinen Bruder, den Theologen und Kanonisten Werner Böckenförde umtrieben, sind für die Kirche aktueller denn je. Wie es gelingen könne, die Mitwirkung aller Getauften an der Gestaltung einer modernen Kirche zu bewerkstelligten und dem Glaubenssinn des Gottesvolkes zur Umsetzung zu verhelfen, beschäftigte beide Brüder enorm. Umso schmerzlicher fehlen ihre Stimmen in den aktuellen Reformdebatten der katholischen Kirche. Legendär ist Böckenfördes vielzitierte Aussage: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Dieses Diktum ist von theologischer und kirchlicher Seite oft vereinnahmt worden. Tatsächlich ist es aber viel weiter gefasst, als dass es im Christentum das Fundament der modernen Demokratie ausweisen sollte. Erst in der Umkehrung der affirmativen Deutung wird die Sinnspitze für die katholische Theologie sichtbar: Wenn sich die Kirche auf Böckenförde berufen will, muss sie sich den Bedingungen des pluralistischen Diskurses und der gesellschaftlichen Verantwortung stellen. An dieser Stelle verbindet sich das juristische Lebensthema Böckenfördes mit seinem Engagement für die Reform der Kirche. R.I.P.