NACH OBEN

„Wir gehen gemeinsam den Weg im Auftrag und Dienst für Kirche und Welt, letztlich sitzen wir alle in einem Boot und sind füreinander da.“


Im Rahmen des Projekts „Forschendes Lernen“ an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum engagiert sich die Theologiestudentin Miriam Pawlak für das Seminar: „Wind of Change. Was die katholische Kirche von ihren Orden lernen kann“.

Dabei setzt sie den Fokus auf den Orden der Karmelitinnen und hat bei einem Gespräch Sr. Priorin Anna-Maria aus dem Wittener Kloster befragt.

Interview mit der Priorin des Karmelitinnen-Klosters Witten:

Liebe Sr. Priorin,

wie schön, dass Sie sich die Zeit nehmen, um für ein paar Fragen Rede und Antwort zu stehen.
Um von Beginn an auch alles richtig zu verstehen, muss ich zuerst nach Ihrem Ordensnamen fragen.
Sie gehören ja dem Ordenszweig an, der auf die Gründung Teresa von Ávila zurückgeht.
Sie sind aber auch unter dem Namen der „unbeschuhten Karmelitinnen“ bekannt. Dabei sehe ich, dass Sie
doch Schuhe tragen?


Teresa hat im Laufe der Klosterreform auch ein äußeres Zeichen gesetzt: die Hanfsandalen. Sie sind der Grund für den Namen der Brüder und Schwestern. Inzwischen haben wir aber gelernt, dass Teresa und Johannes vom Kreuz von ihrer geistlichen Ausrichtung her die Ideale der damaligen Unbeschuhten nur bedingt teilten, denn es kam ihnen nicht auf den rigor (= die Bußstrenge) – an, sondern auf die Verinnerlichung der Liebe Gottes zu den Menschen. Von dieser Neuausrichtung her bezeichnen wir uns heute lieber als Teresianischer Karmel.

Charakteristisch für Sie als Ordensgemeinschaft ist auch das „innere Gebet“. Es ist zwei Mal täglich in Ihrem Tagesablauf vorgesehen. Was genau ist darunter zu verstehen? Kann dieses Gebet (nach Ihrem Verständnis) jeder „einfache Mensch“ von sich aus führen oder bedarf es einer besonderen Berufung, Disziplin oder Einübung?

Teresa von Ávila selbst hat eine sehr schöne Formulierung hinterlassen. Sie sagte: „Das innere Gebet ist meiner Ansicht nach nichts anderes als Umgang und vertraute Zwiesprache mit einem Freund, mit dem wir oft und gern allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil wir wissen, dass er uns liebt.“ Daraus geht hervor, dass jeder Mensch diese freundschaftliche Beziehung zu Gott ausüben und leben kann, wenn es anfangs vielleicht auch etwas der Einübung bedarf.

Die heilige Theresa von Ávila war ja auch eine Mystikerin. Aus ihrer Vita geht hervor, dass sie sich trotz enger Gottesbeziehung im Kindesalter, erst recht spät (etwa im Alter von 40 Jahren) von den widersprüchlichen Neigungen ihrer Umwelt „befreien“ konnte, um sich vollständig der geistigen Seite zu widmen. Dann begann sie recht schnell mit einigen Änderungen und Umstrukturierungen des Klosterlebens. Welches Spezifikum Ihres Ordens ist so herausstechend, dass es sonst kein anderer besitzt?

Unsere Schwestern leben in relativ kleinen Konventen. Als kontemplative Gemeinschaften übernehmen sie keine pastoralen oder karitativen Aufgaben nach außen, sondern sehen ihre Hauptaufgabe im absichtslosen Dasein vor Gott, das zugleich zum Mittragen der Nöte und Anliegen der Mitmenschen wird. Das zeichnet uns als Orden aus. Zugleich ist unsere Lebensform auch geprägt von eremitischen Elementen (d.h. zurückgezogener Lebensstil, ausgiebige Zeiten des Schweigens und Alleinseins als Raum für die Entfaltung des intensiven Gebetslebens), die sich mit einem geschwisterlichen Gemeinschaftsleben vereinen.

Wie zeigt sich Ihr gemeinschaftliches Miteinander im Alltag?

Es zeigt sich beispielsweise in der gemeinsamen Eucharistiefeier, im gemeinsamen Stundengebet, dem geistlichen Austausch und in den täglichen Zusammenkünften zum ungezwungenen Beisammensein im Gespräch (Rekreation). Das intensive Gemeinschaftsleben stellt eine besondere Herausforderung dar. Die vielfältigen Arbeiten, die auch dem Erwerb des Lebensunterhaltes dienen, verrichten die Karmelitinnen in der Stille der Klausur.

Ihr Orden besteht also aus eremitisch-kontemplativen Zügen, in denen das Schweigen einen großen Raum einnimmt. Wie sehen Sie Ihre Aufgabe bzgl. der Gesellschaft? Wie nehmen Sie die Rolle des Schweigens in der Gesellschaft wahr?

Heute ist es den meisten Karmelitinnenklöstern ein wichtiges Anliegen, suchenden Menschen einen Raum der Stille anzubieten. Daneben finden auch leidgeprüfte Menschen oder solche, die nach geistlicher Begleitung suchen, bei den Schwestern ein offenes Ohr. Auf die Rolle des Schweigens in der Gesellschaft kann ich keine Antwort geben. Diese Frage möchte ich den Menschen stellen!

Das stimmt, es wird wohl jeder eine andere Meinung vertreten. Schließlich leben wir in einer pluralistischen Gesellschaft, in der die Menschen vielleicht nicht mehr direkt nach Gott fragen, in der jedoch die Sinnfragen des Lebens immer größer werden und die Suche nach spirituellen Angeboten sich einer wachsenden Beliebtheit erfreuen.
Was suchen die Menschen, die explizit Ihre Angebote im Kloster annehmen? Sind unter ihnen auch viele junge Menschen?


Die Menschen, die sich an uns wenden, suchen Ruhe, Stille in unserer Klosterkirche, andere suchen Rat, Aussprache, Begleitung im Gebet, in einer persönlichen Begegnung oder auch per E-Mail. Wir haben seit 2011 eine extra Rubrik für Anliegen und diese wird sehr genutzt – ich habe täglich E-Mails zu beantworten. Ob viele junge Menschen dazwischen sind, kann ich nicht genau sagen, aber manche Anliegen beziehen sich auf die Fürbitte im Gebet bei einer Prüfung, Arbeitssuche, Berufungsklärung usw., so dass ich davon ausgehe, dass es sich um jüngere Generationen handeln muss.

Zum Abschluss möchte ich Sie gerne noch mit der spannenden Frage konfrontieren, die sich auf den Titel des Seminars bezieht. Beim „Forschenden Lernen“ steht der Lernbegriff besonders im Fokus. Was würden Sie sagen:Was haben Klöster/Orden, was die meisten Bischöfe hier in Deutschland nicht haben? Mit anderen Worten: Was kann die deutsche Kirche von ihren Orden lernen?

Bischöfe haben einen anderen Auftrag als die Ordensleute und speziell der Karmel. Der Bischof ist aktiv inmitten der Gesellschaft tätig, ihm ist die Lehr- und Leitungsvollmacht in einem bestimmten Gebiet anvertraut, er kann nicht in Abgeschiedenheit seinen Dienst tun. Er muss die Stimme für Recht und Gerechtigkeit, für Frieden und aktuelle Probleme erheben.
Klöster sind bilden Zentren der Stille, der Einkehr und des Gebetes. Wir Karmelitinnen leben in einfacher Abgeschiedenheit. Unser Rhythmus von Arbeit und Gebet sowie eine bescheidene Lebensführung dienen dazu, in der Kirche fürbittend und stellvertretend vor Gott zu stehen und so den Menschen in ihren Nöten helfend nahe zu sein. Wir gehen gemeinsam den Weg im Auftrag und Dienst für Kirche und Welt, letztlich sitzen wir alle in einem Boot und sind füreinander da.
Die Kirche ist auf Strukturveränderungen bedacht, die Orden auf den gelebten Glauben.
Wir leben die Zuwendung zu Gott, die Spiritualität, die Hingabe und Anbetung, sprich das Stehen-Vor-Gott.
Kirche und Orden müssen sich einander ergänzen, so sehe ich das! Gemeinsam unterwegs sein. Schon unsere Ordensgründerin bezeugte, dass wir Teil der Kirche sind und starb mit den Worten: „Letztlich sterbe ich als Tochter der Kirche“.

Und umgekehrt: Sind auch Sie als Orden lernfähig bzw. lernbereit? Welchen Beitrag können und möchten Sie in der Gesellschaft leisten, wo sie doch eher „in-sich-gekehrt“ leben?

Wir sind lernbereit, ja. Jeder Mensch muss offen sein, sich spirituell und individuell entfalten, um zu reifen. Wir sind offen für die Zeichen der Zeit, wir entscheiden, wie wir heute unser Charisma leben können. Stellvertretend für viele vor Gott zu stehen, das ist unser Beitrag. Jeder von uns ist zwar „in-sich-gekehrt“, doch Gott und den Menschen „zu-ge-kehrt“!


Das Interview führte Miriam Pawlak, Studentische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte (Prof. Dr. Georg Essen) der Katholisch-Theologischen Fakultät der RUB.