Vorlesung
Kirche – Macht – Moderne. Theorien zum Verständnis der Entwicklung moderner Gesellschaften und ihrer spezifischen Problemlagen
Die katholische Kirche befindet sich in einer großen Krise. In vielen Ländern ist sichtbar geworden, wie unter dem Deckmantel der Heiligkeit im Raum Kirche sexueller Missbrauch begangen und vertuscht wurde. Verunsicherung besteht, ob kirchliche Strukturen reformierbar sind und in welche Richtung Kirche weiterentwickelt werden kann. Die Vorlesung zeichnet die Entstehung moderner Gesellschaften nach, darunter die Entstehung spezifischer Problemlagen und Bedingungen, die die Kirche selbst mit schuf und die sie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil – „eine[r] Zeitenwende, die Aufbruch und Absturz zugleich einleitete“ (Karl Gabriel) – vor erhebliche Herausforderungen stellen. Die Kirche hat Moderne gemacht, stand und steht in Wechselwirkung zur modernen Gesellschaft und ist Teil von ihr. Überkommene Machtverhältnisse und innere Widersprüche drohen die Kirche aber an den Prozessen und Bedingungen, die sie selbst mitkonstituierte, scheitern zu lassen. Unter Rückgriff auf Gesellschaftstheorien werden die Entwicklung moderner Gesellschaften und die Veränderungen der kirchlichen Sozialgestalt, ihre Auffächerung in unterschiedliche Sozialgestalten, ebenso in den Blick genommen wie die „Öffnung der Kirche nach außen“ bei gleichzeitiger „Schließung nach innen“ während des Pontifikats Johannes Pauls II. Wie lässt sich aus der Sackgasse heraussteuern? Welche Reformimpulse bietet der Synodale Weg und wie sind sie sozialethisch zu bewerten? Wie kann sich die Kirche als zivilgesellschaftlicher Akteur in Deutschland und – in ihren weltweiten Verbundenheiten – als globale Organisation in einer globalen Zivilgesellschaft neu aufstellen? Das sind kontroverse Fragen, denen die Vorlesung nachgehen und deren mögliche Antworten sie sozialethisch diskutieren will.
Literaturhinweise:
Hauptseminar
Fürsorge: Quo vadis? Ethische Einordnungen und Zukunftsperspektiven der Deckung wachsender Care-Bedarfe
In den nächsten Jahrzehnten ist in Deutschland mit einem deutlichen Zuwachs an Sorgebedarfen zu rechnen. Die geburtenstarken Jahrgänge der sog. Babyboomer werden pflegebedürftig, und noch ist eine klare und politisch mehrheitsfähige Vorstellung der Neuordnung des Sorgens in unserer Gesellschaft nicht absehbar. Längst ist von einer Care-Krise die Rede. Prekär versorgte Pflegebedürftige, erschöpfte pflegende Angehörige und Beschäftigte, denen kaum Zeit für beziehungsorientierte Care-Arbeit bleibt und die in der alltäglichen Arbeit ‚moralische Verletzungen‘ erfahren, prägen das Bild. Das Hauptseminar widmet sich u.a. folgenden Fragen: Welche Sorgearrangements dominieren gegenwärtig, unter Berücksichtigung der hohen Zahl migrantischer Arbeitskräfte in privaten Haushalten? Wie kann Sorgearbeit, darunter die Pflege, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, verstanden und gerecht organisiert werden? Wer leistet – bezahlt, oft aber unbezahlt – Sorgearbeit? Und unter welchen Bedingungen werden diese Leistungen, die Menschen existentiell betreffen, erbracht? Welche Verantwortung kommt den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden zu? Das Seminar bietet Einblicke in die Erbringung sozialer Dienstleistungen, insb. die Arbeit der Wohlfahrtsverbände, sowie in feministische Care-Theorien und intersektionale Analysen. Es identifiziert gesellschaftliche Machtasymmetrien und Konflikte bei der Organisation der Deckung von Sorge- und Pflegebedarfen und nimmt sozialethische Bewertungen unterschiedlicher Regelungs- und Reformvorhaben vor. Ins Seminar sollen auch Praktiker:innen eingeladen bzw. im Rahmen des Seminars Einrichtungen aufgesucht werden.
Literaturhinweise:
Vorlesung
Um jeden Preis!? Wie normative Orientierungen die Welt der Wirtschaft betreffen
Raubbau an der Natur, ökologische Verwüstungen, Ausbeutung, Kinderarbeit und Sklaverei, aber auch Bilanzmanipulationen – Anzeigen zu moralisch verwerflichen Praktiken wirtschaftlicher Akteure fallen jedem:r Zeitungsleser:in tagtäglich ins Auge. Was steckt theoretisch dahinter? Wie lassen sich diese und andere Phänomene ökologischer und sozialer Ausbeutung oder Enteignung erklären, beurteilen und womöglich verändern? Welche wirtschaftsethischen Traditionen können unterschieden werden? Und wie haben sich die Kirchen selbst – gleichsam als „Wirtschaftsakteure“ und Treiber normativer Orientierungen – positioniert? Die Vorlesung bietet einen Überblick über spannungsreiche wirtschaftsethische Standpunkte und über Orientierungen der kirchlichen Sozialverkündigung. Dabei führt sie in unterschiedliche Richtungen der Wirtschafts- und Unternehmensethik ein und legt wirtschaftsethische Argumentationslinien der sozialkatholischen Tradition offen. Studierende der Theologie und anderer Fakultäten, die sich mit wirtschaftsethischen Fragen beschäftigen wollen, sind herzlich willkommen.
Hauptseminar
„Gott, Vaterland, Familie“. Zum Ideologiehintergrund neofaschistischer und radikal rechter Bewegungen
Nicht erst die jüngsten Wahlen in Europa (Italien, Schweden) lassen auf einen erheblichen Zuwachs an Einfluss rechtsextremer Akteure in den politischen Systemen schließen. Vielmehr ist spätestens seit der zweiten Hälfte der 2000er Jahre ein schleichender Bedeutungsgewinn neofaschistischer und radikal rechter Bewegungen in verschiedenen Ländern weltweit zu beobachten – mit jeweils eigenem politischen Hintergrund, eigenen ideologischen Anleihen und Schwerpunkten. Auch die republikanische Partei in den USA mit dem in ihr dominanten Trumpismus ist auf einem Kurs, der viele politische Beobachter:innen beunruhigt. Das Seminar versucht die Ideologien dieser Bewegungen, ihre politischen Bearbeitungsstrategien und ihre normativen Implikationen zu analysieren und die Unterstützer:innen- und Wähler:innengruppen näher in den Blick zu nehmen. Wie groß ist eigentlich die Affinität katholischer und protestantischer Kreise zu radikal rechten Gesinnungen und politischen Bewegungen (etwa in Deutschland und den USA)? Wie werden diese Orientierungen innerhalb der Kirchen gesehen? Und überhaupt: Welche Gründe lassen sich für das Erstarken radikal rechter Orientierungen in demokratischen Gesellschaften ausmachen? Das sind Fragen, denen das Seminar nachgehen will. Studierende der Theologie und anderer Fakultäten sind eingeladen mitzudiskutieren.
Vorlesung
Teil 1 (Modul C): Handelnd glauben und glaubend handeln. Gesellschaftstheoretische Zugänge zu theologisch-sozialethischem Verstehen
Unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen handeln und glauben Christ:innen in (post-) modernen Gesellschaften? Wie lässt sich die plurale Signatur ausdifferenzierter Gesellschaften verstehen? Wie lässt sich mit ihr theologisch-sozialethisch umgehen? Wie können Menschen, die glauben, sich in modernen Gesellschaften verorten, und wie können sie (zusammen mit kirchlichen Akteuren) ihre Glaubenspraxis ausrichten? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, werden in der ersten Hälfte der Vorlesung Gesellschaftstheorien (u. a. die Theorie der funktionalen Differenzierung) vorgestellt, die zu klären helfen, in welcher Gesellschaft sich glaubende und glaubend handelnde Menschen überhaupt vorfinden und in welcher Gesellschaft sie „auf Sendung zu gehen“ bzw. zu guten Lebens- und Entfaltungschancen aller beizutragen beauftragt sind. Neben gesellschaftstheoretischen Zugängen wird auch auf Konzilsdokumente (wie Gaudium et spes) verwiesen und kursorisch auf nachkonziliare Theologien Bezug genommen, die gesellschaftstheoretische Erkenntnisse und die plurale Signatur moderner Gesellschaften verarbeitet haben.
Vorlesung
Teil 2 (Modul D): Maßstäbe gerechten Handelns. Ethische Theorien in Ergänzung und Widerstreit
Im zweiten Teil der Vorlesung werden drei große Ethikstränge vorgestellt: utilitaristische, rechtebasiert-kontraktualistische und essentialistische. Bei sozialethischen Bewertungen wird – je nach Gegenstand oder Kontext – oft auf eine oder mehrere dieser Ethiken zurückgegriffen. Manchmal erzeugen die Maßstäbe gerechten Handelns, die aus diesen Ethiken resultieren, aber auch erhebliche Spannungen – oder schließen sich gar gegenseitig aus. Außerdem: Auf welche „blinden Flecken“ der traditionellen Ethikstränge weisen z.B. feministische und postkoloniale Theorien hin? Und überhaupt: Gibt es eigentlich spezifisch christlich-sozialethische Maßstäbe gerechten Handelns, die nicht einfach „nachgebetete“ normative Maßstäbe einer der drei Ethikstränge wären? Wenn es sie gibt: Was sind solche Maßstäbe, die das Handeln von Menschen, die sich in der Gesellschaft (auch) als Christ:innen verstehen, zu orientieren helfen? Die Vorlesung schlägt eine Schneise ins Dickicht ethischer Theorien und geht dabei einführend auf Essentials der 130-jährigen Tradition katholischer Sozialverkündigung ein.
Hauptseminar
Vielfachkrisen und Krisenbewältigung in sozialethischer Reflexion
Eine gängige wie pauschale Diagnose der Gegenwart ist die der Vielfachkrisen: Krieg, ausstehende Getreidelieferungen und Nahrungsmittelknappheit im Globalen Süden, ökonomische und soziale Verwerfungen infolge der Covid-Pandemie, die Care-Krise sowie die Umwelt- und Klimakatastrophe, die ihre Schatten vorauswerfen, Vertreibung und Flucht, Anfeindungen gegen die Demokratie – hierzulande und weltweit. Politische und zivilgesellschaftliche Akteure wirken überfordert bei der Bearbeitung dieser Krisen. Aber gibt es womöglich Verbindungen zwischen diesen Krisen – vielleicht sogar einen gemeinsamen Nenner? Im Hauptseminar werden zum einen ausgewählte Krisen fokussiert und strukturelle Verbindungen zwischen ihnen aufgezeigt. Zum anderen werden einige besonders einflussreiche ethische Theorien, die in der Sozialethik rezipiert werden, vorgestellt und deren handlungsleitendes Potenzial zur Bearbeitung der Krisen diskutiert. Außerdem wird der Frage nachgegangen, welche normativen Orientierungen zur Krisenbewältigung sich eigentlich aus der sozialethischen Tradition in Erinnerung rufen und aktualisieren lassen?
Studiengang – Crossmediale Glaubenskommunikation
Studientag zum Institutionellen Aufbau der Katholischen Kirche